Monatslieder
Kirchenmusik- und Pfarrteam präsentieren jedes Jahr eine neue Liste von Monatsliedern. So werden wenig bekannte oder auch anspruchsvollere Choräle durch das regelmässige Singen im Gottesdienst vertraut. Die Gesänge werden jeweils auch im Kirchenchor erarbeitet und in einem kurzer Artikel im "reformiert" erläutert.
RG 577 "Nun ist vorbei die finstre Nacht"
Orgel-Improvisation von Chrigu Gerber
Originale Begleitung von Willy Burkhard
Nun ist vorbei die finstre Nacht.
Die liebe Sonne leucht’ und lacht
und lässt uns fröhlich leben.
So wollen wir uns diesem Tag
und allem, was er bringen mag,
von Herzen nun ergeben.
Wir wolln uns wie das liebe Licht,
so unbekümmert, warm und schlicht,
dem Lebenstage schenken.
Wir sollen Gottes Strahlen sein,
Gott will durch uns sich tief hinein
in seine Erde senken.
Gott schenkt sich uns in seiner Welt,
hat uns in ihr zum Dienst bestellt,
dass wir zu Lob ihm leben.
Das ist, du Mensch, deins Lebens Sinn,
dass du dich wiederum gibst hin
dem, der sich dir gegeben.
Arno Pötzsch (1934/41)
Mit entwaffnend kindlicher Geste lädt uns Arno Pötzsch auf einen fröhlichen Maibummel ein: "Wir wolln uns wie das liebe Licht, so unbekümmert, warm und schlicht, dem Lebenstage schenken." heisst es in der Mitte des Liedes – und entlässt uns alsbald in verantwortungsvolle Mündigkeit: "Wir sollen Gottes strahlen sein".
Die eingängige, schnörkellose Melodie von Willy Burkhard windet sich ihrerseits in einem Schraubstock ungewohnter Harmonien, die für Neugierige aber manche Kostbarkeit am Wegesrand bereit hält.
Ein Liedchen, das uns munter bei der Hand nimmt auf unserer alltäglichen Lebensreise des beschenkt und verpflichtet Werdens.
RG 487 "Das könnte den Herren der Welt ja so passen"
Orgel-Improvisation von Chrigu Gerber
Das könnte den Herren der Welt ja so passen,
wenn erst nach dem Tode Gerechtigkeit käme;
erst dann die Herrschaft der Herren,
erst dann die Knechtschaft der Knechte
vergessen wäre für immer.
Das könnte den Herren der Welt ja so passen,
wenn hier auf der Erde stets alles so bliebe;
wenn hier die Herrschaft der Herren,
wenn hier die Knechtschaft der Knechte
so weiterginge wie immer.
Doch ist der Befreier vom Tod auferstanden,
ist schon auferstanden und ruft uns jetzt alle
zur Auferstehung auf Erden,
zum Aufstand gegen die Herren,
die mit dem Tod uns regieren.
Kurt Marti (1970)
Ein ganz ungewöhnliches Kirchenlied vom legendären Berner Nydegg-Pfarrer Kurt Marti findet sich in unserem Gesangbuch unter der Nummer 487: fern jeder Besinnlichkeit wird hier über zwei Strophen eine rotzige Schelte gegen die Herrschenden angezettelt, um dann als überraschende Pointe in grosser Feierlichkeit die Auferstehung zu preisen als "Aufstand gegen die Herren, die mit dem Tod uns regieren". Er titelt das Gedicht denn auch als „Anderes Osterlied“.
Die sperrige Marschmelodie von Peter Janssens, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung allerdings einfach als Rhythmisierung der uralten Osterleise "Christ ist erstanden" (RG 462), wie wenn er zeigen möchte, dass Ostern nicht erst seit den 70er-Jahren eine unerhört politische Angelegenheit ist – demnach also vielleicht eher das "Eigentliche Osterlied"?
RG 698 "Du kannst nicht tiefer fallen"
Orgel-Improvisation von Chrigu Gerber
Du kannst nicht tiefer fallen,
als nur in Gottes Hand,
die er zum Heil uns allen
barmherzig ausgespannt.
Es münden alle Pfade
durch Schicksal, Schuld und Tod
doch ein in Gottes Gnade
trotz aller unsrer Not.
Wir sind von Gott umgeben
auch hier in Raum und Zeit
und werden in ihm leben
und sein in Ewigkeit.
"Du kannst nicht tiefer fallen, als nur in Gottes Hand." Kann man sich einen tröstlicheren Zuspruch vorstellen? Zusammen mit einer Melodie-Linie, die uns an den unteren Rand des üblichen Tonumfanges führt, um dann gleich unbeirrt wieder hoch aufzusteigen, eröffnet sich uns ein ebenso schlichtes wie ergreifendes Bild: "Gottes Hand" ist dabei stets in einer aufsteigenden Geste "aufgespannt", der bemerkenswerte Schluss bleibt offen, gleichsam in wacher Bereitschaft, auch noch wenn die Musik längst verklungen ist…
Arno Pötzsch setzt den Titel "Unverloren" über seinen Liedtext, den er im 2. Weltkrieg schrieb als Seelsorger für Gefangene in der Todeszelle und deren Angehörige. Die bemerkenswerte Offenheit des Gedankens erlaubt jedoch ein Anknüpfen in verschiedensten Lebenslagen.
RG 804 "In Christus gilt nicht Ost noch West"
Orgel-Improvisation von Chrigu Gerber
William Croft veröffentlicht 1708 eine bemerkenswerte Melodie zum 62. Psalm: die Weise hüpft in vielen Sprüngen auf und ab und widerspricht damit der ehrwürdigen Choral-Tradition der ruhig fliessenden Linien komplett. Trotzdem – oder gerade deswegen? – wurde die markante Melodie unter dem Namen „St. Anne“ so beliebt, dass Georg Friedrich Händel keine zehn Jahre später den festlichen Chorsatz „O Praise The Lord With One Consent“ darauf aufbaut. Dass selbst die bedeutungsschwere Es-dur-Orgelfuge von Bach BWV 552 dasselbe Thema hat, scheint eher Zufall zu sein, trägt ihr aber bis heute den Übernamen „St.Anne’s Fugue“ ein.
Unter dem Pseudonym „John Oxenham“ textet der umtriebige Schriftsteller und Geschäftsmann Bill Dunkerley 1908 den Choral neu, und zwar im Auftrag der weltweit tätigen Londoner Missionars-Gesellschaft sinnigerweise: „In Christ, there is no East or West“. Heute ist uns das Lied unter der Nummer 804 im Gesangbuch in freier Übersetzung von Otto Budde zugänglich.
RG 405 „Jesus ist kommen“
Orgel-Improvisation von Chrigu Gerber
Eine kleine musikalische Sensation verbirgt sich unter der Nummer 405 unseres Gesangbuches: ein festliches Thema mit pompöser Geste, das problemlos ein grosses Weihnachtsoratorium eröffnen könnte. Der Eindruck ausladender Architektur auf so kleinem Raum entsteht durch eine Melodie mit grossem Tonumfang, die sich mehrere Takte lang über dem selben Akkord entwickelt, wie wenn sie ewig Zeit hätte, ohne jede Eile in Kadenzen weiter zu schreiten - und dennoch hat die elegante Weise eine klare kompakte Gestalt. Leider wissen wir nicht sicher, wem dieser grosse Wurf 1733 gelungen ist; dem späteren Leipziger Kantor Johann Georg Hille vielleicht?
Der zugehörige Text „Triumphlied über den gekommenen Heiland der Welt“ von Johann Allendorf verlangt allerdings auch nach einer besonders tragfähigen Musik: die ursprünglich 23 Strophen führen nicht weniger als 42 biblische Namen und Titel Jesu auf - in alphabethischer Reihenfolge von „A und O“ über „Lamm“, „Morgenstern“, „Nothelfer“ etc.. bis „Zuflucht“! Dieser grosse Plan ist in den sparsamen vier Strophen des Reformierten Gesangbuches leider nicht mehr zu erkennen, jedoch wohl der strenge Motto-Refrain, der jeden Sechszeiler umrahmt und damit auch gleich den Reim fast vollständig bestimmt „Jesus ist kommen!“